Essay von Andreas Radlmaier:
Sebastian Kuhn BEAUTY TROPHY
Der Bildhauer hat ein „Jazz-Album“ kreiert. So umschreibt Sebastian Kuhn, der gerne in Akkorden denkt (er ist ja auch Musiker) und Bewegungen einfriert (er ist ja auch begeistert von Ballett und Tanztheater), seine neuesten Arbeiten. Nichts anderes sind in der Tat diese Stücke, die mit der Form von Pokalen spielen. Fundstücke, Erinnerungsstücke, Sammelstücke, Alltagsdinge ja sicherlich, auf jeden Fall neue Kompositionen, zusammengesetzt im Geist von Improvisation und emotionaler Intelligenz.
Eine bislang 30-teilige Suite hat der renommierte Künstler zu einer pointierten Kollektion zusammengefügt. Hier begegnen sich Spontaneität und Ratio, Traditionen und Technik, spielerischer Witz und heiliger Ernst, Grundsatzdiskurs und Staunen. All that Jazz – und die Phantasie tanzt! Phänomene werden zu „Wahrnehmungswerkzeugen“ zusammengebaut, wie er das nennt. Diese Pokale haben ihre eigenen Gesetze, reihen sich zu einer faszinierend-verfremdeten Skyline radikaler Schönheiten.
„Beauty Trophy“ nennt Sebastian Kuhn diese Klein-Skulpturen, die im Zentrum dieser Präsentation stehen. Ihre Existenz verdankt die Serie einem Umzug. Denn Sebastian Kuhn (1977 in Krumbach geboren und seit seinem Studium bei den prägenden Professoren Tim Scott und Claus Bury an der Nürnberger Akademie der Bildenden Künste vor Ort sozialisiert) hat nach Jahren in der Stadt (Großatelier im Aufsehen erregenden Zwischennutzprojekt „Auf AEG“, Wohnung in Fürth) einen Wechsel aufs Land vollzogen. Mit seiner Familie wohnt er seit Pandemie-Zeiten im Dorf Horlach bei Pegnitz, direkt am Veldensteiner Forst, in einem spätbarocken Dreitseit-Hof aus dem Jahre 1771, der Bischofssitz und Forstamt war und sich aktuell mitten in einem beeindruckenden Facelifting befindet.
Das neue Umfeld evozierte vielerlei Wechselwirkungen. Natur und Nachhaltigkeit, die Einheit von Wohnen und Arbeiten – der Ort habe vieles mit ihm gemacht. Wahrnehmungen verändert, Impulse gesetzt. Und dann war da ja noch die Nachbarin, Mathematikerin und Mitglied im Schützenverein. Sie lockte den Neu-Nachbarn zu einem neuen Thema. Sie hatte aus einer umfangreichen Pokal-Sammlung Siegeszeichen vom Marmorsockel gelöst. Diese Mini-Podeste, Relikte ohne tragende Funktion, wurden die Basis für „Beauty Trophy“.
Die Trophäe, altgriechisch: Tropaion, hat ihren Ursprung – wie könnte es beim Menschen anders sein – auf dem Schlachtfeld. Dort wurde die Ausrüstung der Besiegten – Helme, Waffen, Panzer – an einem Holzgestell befestigt. Seitdem sind Tröphäen Ausdruck von Schmach und Unterwerfung einerseits, von Sieg, Besitzerstolz und Überlegenheitsgefühlen andererseits. Der Fußball-Pokal, das Tigerfell, das Geweih an der Wand, die Lebensgefährtin an der Seite: Die Symbole überleben bis heute hartnäckig jeden Zeitgeist. Am Ende spiegeln sie ein menschliches Grundbedürfnis. Ob das nun Großwild oder Großkunst ist – Trophäen sind des Sammlers Lust.
Hier setzte Sebastian Kuhn an. Denn auf einmal beginnen die Dinge, die in Schubladen und Schachteln als Schätze der eigenen Biographie in Teilen 25 Jahren aufgehoben wurden und nun mit den Marmor-Miniatur-Sockeln konfrontiert wurden, mit dem Künstler zu sprechen. Am Anfang ist die Faszination am Formalen, an der Korrespondenz der Formen, an der Ästhetik des Abstraktion. Der Fleischklopfer vom Flohmarkt in Krakau beispielsweise, der Pfennigabsatz, die Modell-Miniaturen aus dem leer geräumten Atelier des Metall-Bildhauers Hans Karl Busch, die gedrechselten Patina-Möbelfüße, die Moosflechte aus dem Garten und der Gummi-Puffer, der vor drei Wochen noch in der 70er-Jahre-Küche neben dem Wandschrank hing und nun, in horizontale Position gebracht und durch Klempner-Glanzchrom ergänzt, zu einem fernen Querverweis auf den Fetisch der weiblichen Brust mutiert. Vermutlich. Das Mehrdeutige mag er, das Symbolische ist ihm zu einfach. Interpretationsspielräume sind Teil des Konzepts.
Erstaunliche Metamorphosen entstehen aus Plastikspielzeug oder einer derangierten alten Saftpresse, die mit hohem Druck Plexiglas-Scheiben sichtbar verformt. Was passiert da? Ist das auch Tropaion? Was ist schön, was ist eine Trophäe? Sebastian Kuhn, schon immer als Feldforscher unterwegs, hat offensichtlich auch am neuen Wohnort die unerschöpfliche Wunderwelt eines Baumarkts in Reichweite. Er lädt auch bei „Beauty Trophy“ das meist aus industrieller Fertigung stammende Material neu auf, kombiniert weiterhin Sinn und Sinnlichkeit mit Gewindestangen und Gestik, verschraubt, verfremdet und verrückt das Vertraute, macht – wie in seinen bekannten großen Installationen auch – Kraft und Bewegung sichtbar.
Die eigene Wahrnehmung wird geprüft, geschärft, ent-täuscht. Konvention? Runter vom Sockel! Die Kombinationen schaffen Distanz und Reiz gleichermaßen. Dazu kommt sein Gespür für die Vitalität der Farben. Das Leuchten des Lichtsammler-Materials, die eigenwilligen Schattierungen der Sandförmchen, die Vitalität der Gegensätze platziert er auf der Schnittstelle zwischen Ready-Made und Sampling-Technik. Die Farbigkeit garantiert Knalleffekt und Kontrast.
Immer dabei: Der paradoxe Einsatz des Sockels und damit Einwürfe zur ewig jungen Kunst-Diskussion, ob die Skulptur nun auf einen Sockel gehöre oder eben gerade nicht. Obenauf, mittendrin oder aufeinander getürmt setzt Kuhn seine Pokal-Übrigbleibsel ein, stellt sie auf den Kopf und rückt damit auch schon mal die grüne Filz-Unterseite in den Blick. Die Kehrseite der Trophäe gewährt ungeahnte Möglichkeiten. Wenn man die Dinge sprechen lässt und ihre Musikalität spürt. Kuhn tut’s: Jazz oder nie.
Veranstaltungen:
Ausstellungseröffnung: Samstag, 6. Juli 2024, 18 Uhr
- parallel: OPEN HOUSE und Sommerfest im Atelier- und Galeriehaus Defet
- Eröffnung im Institut für moderne Kunst, Ugur Ulusoy, Welcome, with Love
Donnerstag, 11. Juli 2024, 19 Uhr
Gespräch mit Holger Rieß, Vorstandsvorsitzender der Museumsinitiative Nürnberg und Sebastian Kuhn
Donnerstag, 15. August 2024, 18 Uhr
Musical Intervention by Xenia Pestova Bennett with Toy Piano
Donnerstag, 19. September 2024, 18.30 Uhr
Rundgang durch die 100. Ausstellung der Galerie
mit Dr. Thomas Heyden (Neues Museum Nürnberg) und Sebastian Kuhn
Samstag, 21. September 2024 ab 18 Uhr
Finissage mit Sebastian Kuhn
- parallel Ausstellungseröffnung im Institut für moderne Kunst
Jenny Schäfer und Lisa Krusche ”Die Anrufung der Riesin"